LAST X-GAMES

Last X-Games

„LAST X-GAMES“: EINE HEDONISTISCHE,
BEKLEMMENDE AUSSTELLUNG INMITTEN UND
GEGEN DIE INSIGNIEN DES ÜBERFÄLLIGEN
SPÄTKAPITALISMUS.

Eine fast dystopische, aber dionysische Szenerie eröffnet sich dem Besucher beim Betreten der ehemaligen Fabrikhallen in Bregenz. In strenger Dramaturgie führt die Schau ihre Besucher von einem Höhepunkt zum nächsten und überreizt dabei bewusst Sinne und Aufnahmefähigkeit. Im Spiel mit Proportionen und Maßstäben folgt die Schau konsequent dem Motto der gleichnamigen X-Games:
Höher, schneller, weiter! Seit 1995 versorgt das jährliche Mega-Event das eventhungrige TV- und Live-Publikum im Sommer wie im Winter mit Extremsportarten,
waghalsigen Stunts, Kunstschnee und coolen Vorbildern, durch deren Adern Rockstar-Energie zu fließen scheint! Die Gruppenausstellung nähert sich diesem
Phänomen der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft und ihren zerstörerischen Folgen durch verschiedene künstlerische Praktiken an – als Reproduktion,
als Kommentar, als Intervention.

„Bald werden wir in den Ruinen der Welt, die wir kennen, verweilen müssen. Aber bis dahin lasst uns feiern, lasst uns fühlen, lasst uns Gas geben, lasst uns ausprobieren, mit welcher Geschwindigkeit man den Fortschritt an die Wand fahren kann“, könnte die aktuelle Zustandsdiagnose einer Gesellschaft lauten, die sich so verhält, als hätte sie nur eine Ökonomie und viele Planeten und nicht andersherum. Wie bei einem Besuch im Erlebnispark können die Besucher Tischtennis spielen, Schlittschuh laufen und jeden Sonntag einem Konzert lauschen. Das alles wäre ein großes Vergnügen, wenn die Arbeiten nicht immer wieder den traurigen Abglanz besserer Zeiten hervorrufen würden.

Verschraubte Zuschauerränge, die von der Seebühne des jährlichen Festivals, dem Höhepunkt der regionalen Hochkultur, entfernt wurden, geben den Zuschauern ihren Platz. Die starren Sitze definieren und lenken Haltung und Blick und lassen nichts anderes zu als die vom Kurator vorgegebene Perspektive auf die Tischtennisarena, die Eingangshalle mit mehreren großformatigen Gemälden von Kathrin Isabell Rhomberg, Paul Mittler und Kevin Klamminger und auf einen Schriftzug in arabischen Schriftzeichen von Manuel Menghin, der einst das Wort „Sicherheit“ bildete. Verzerrt und deformiert wie die ursprüngliche Bedeutung,
zeigt das Wort nun eine unleserliche Neuschöpfung, deren Bedeutung nur noch in der Vergangenheit zu erfassen ist. Ein Hinweis auf die vielschichtige Bedeutung dieses Wortes – abstrakt als Maxime der Gesellschaft – konkret als Hinweis auf die miserable Behandlung der leidenden Arbeiter der Männer-WM in Quatar.

In der großen Ausstellungshalle steht ein 580-PS-Rennwagen, der mit viel Liebe zum Detail in acht Jahren von Benjamin Kremmel gebaut wurde. Der Bolide, ausgestattet mit einem Motor und einer Ausstattung, die ihn auf jeder Rennstrecke bestehen lassen würde, steht still. Wie ein Totem des Fortschritts, bereit für die Anbetung, niemals für den funktionalen Einsatz auf der Straße – dort würde er seinen Heiligenstatus verlieren. Die Insignien der Konsumgesellschaft beziehen sich in der gesamten Ausstellung in Form von verschiedenen künstlerischen Positionen aufeinander. Ausstaffiert in Kostümen von Ebony Tylah performed Dj Katharsis alias Maria Lisa Huber alias „Elektra“ als doppeldeutige Reminiszenz:
Einerseits eine Hommage an die Fabrikhalle, in der die Ausstellung stattfindet und in der bereits seit geraumer Zeit der Verfall regiert. Andererseits ein Verweis auf das Schicksal der griechischen Prinzessin, gefangen in der eigenen Identität, aus der sie sich nur durch bloße Gewalt zu befreien vermag. Allgegenwärtig ist die Frage nach der Bedeutung des Fetischs. Alle ausgestellten Objekte ringen mit ihrer Form und Funktion, stellen gewohnte Sehgewohnheiten auf den Prüfstand und konfrontieren den Besucher mit der gesamtgesellschaftlichen Leidenschaft für Marken (Lukas Weithas), Preise (Riki Werdenigg), Performance, Gewohnheiten (Alexander Stark), Ruhm und ihrer Bereitschaft, sich täglich auf den Zirkus einzulassen. Ihre Spuren dokumentiert Tonja Steppacher sowohl akustisch als auch visuell. Mikrophone unter der Eisfläche sowie eine Wildkamera im Ausstellungsraum zeichnen Bewegungen permanent auf und spielen die Präsenz anderer Besucher zurück. Es entsteht ein Soundteppich des Kollektiven, dessen Töne Konsequenzen des Handelns einzelner sind.

Eigens für die Ausstellung hat Gianna Henrichs eine Merchandise-Serie entwickelt, durch die die Grenzen zwischen Besuchern und Ausstellungsdramaturgie verschwimmen. Die Fanshirts und Asseccoires sowie der übergroße Schal von Selina Reiterer sind Werbung und Kunstwerk in einem. Der Blick der Besucher auf die Ausstellung wird so ungefragt gespiegelt, das Nacheifern der eigenen Idole und das Begehren nach Zugehörigkeit der eingeschworenen Fangemeinde werden gebrochen. Auf welche Gemeinschaft schwören die grellgrünen Shirts, wenn es keine Mannschaft gibt?

Ein überdimensionaler Luster schwebt über der Eislaufbahn von Lucas Schmid, Tonja Steppacher und Lukas Weithas, die mit den individuell gestalteten Schlittschuhen von Ebony Tylah befahren werden kann. Sich in Bewegung zu setzen, Schlittschuh zu laufen, sich zu drehen, zu einer Identität zu schlittern, kann als Metapher für den wackeligen, unsicheren Gang über das dünne Eis dienen, das wir als Leben kennen. Lisa Wintermantels Arbeit weist darauf hin, dass sich dieses oft als unerbittlich erweist. Die entwurzelten Äste und Zweige, die eher aus Verzweiflung als aus Überzeugung mit Dornen gespickt sind, hängen orientierungslos herum wie Teenager der Generation Z in ihren Kinderzimmern während der Pandemie: zu erwachsen, um den Schmerz nicht zu spüren, zu jung, um sich die Schuld für ihr Scheitern geben zu können. „Last X-Games“ ist kein pessimistischer Ausblick auf eine ungewisse Zukunft. Es ist eine Diagnose der Gegenwart. Das Leben in den Ruinen des Kapitalismus ist keines, dass wir in den nächsten Jahren erwarten sollten, sondern eines, in dem wir bereits mittendrin sind.

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CREDITS

Konzept und Kuration
Lukas Weithas

Text
Anne Zühlke (Anne Zühlke ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Publizistin. Ihr Interesse gilt dem Feld von Archiven und Konzepten der Geschichtsschreibung in der bildenden Kunst.)

Bilder
Matthias Guido Braudisch

Video

Rene Giesinger | CATS and LION